Lange Nacht, kurzer Weg.

TS on stage in der Unterfahrt

Von der Trägheit der Masse

Eher spontan kam die Idee, an der Langen Nacht der Musik am 23. Mai in München teilzunehmen. Allerlei Schreckliches hatte ich doch von überfüllten Bussen und verstopften Museen im Ohr. Aber es war eben nicht die Lange Nacht der Museen und so reduzierte sich das Publikum auf Freundinnen und Freunde der Musik.

Meine erste Idee nach dem Vorschlag von Freundin Doro war Herdentrieb, um Himmels Willen. Dann 96 Seiten Programm- und Orientierungsheft, die Notwendigkeit, sich ein Papierarmbänchen zu besorgen sowie die Auswahl zwichen vier Touren in Shuttlebusse zu Verantstaltungsorten, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Aber gut, wer etwas erleben will, muss die Trägheit besiegen und sich auf Experimente einlassen.

Nach einem leichten Mahl im Selig ging’s ab ins SUB e.V.. Dort schwappten uns kleine Wellen sichtlich amüsierter Mittvierzigerinnen entgegen. Erster Pluspunkt: So ein Publikum hat das schwule Zentrum selten gesehen. Der Barbershop-Frauenchor Harmunichs macht es offenbar möglich. Und da war es schon, das Zeitproblem. Wie schaffen wir von den 94 Veranstaltungsorten auch nur einen Bruchteil in den verbleibenden fünf Stunden?

Flott mit der U-Bahn zum Odeonsplatz, dem Umschlagbahnhof für die nächtlichen Reisenden in Sachen Musik. Wir nehmen die Tour Ost, denn obwohl ich dort wohne habe ich festgestellt, dass ich einige Veranstaltungsorte nicht kenne oder noch nie betreten habe: Polnisches Kulturzentrum und tschechisches Zentrum, Piano-Fischer, Europäische Kommission, GEMA, Bavaria Musikstudios, um nur einige zu nennen. Unsere Strategie ist, dahin gehen wo wir noch nie waren, Musik egal, wir sind aufgeschlossen.

Polen und Tschechien

Gleich beim ersten Stopp, dem polnischen Kulturzentrum, steigen wir aus. Die anderen Expeditionsteilnehmerinnen sind sichtlich desorientiert, die Gruppe kundschaftet von der Kreuzung in drei Himmelsrichtungen. Doro entdeckt eine polnische Bekannte, die muss es wissen, hinterher!
Das Personal im kleinen polnischen Kulturzentrum in der Prinzregentenstraße ist sehr freundlich. Im Foyer riecht es nach würziger polnischer Wurst, aber wir haben gerade gegessen. An der Bar werden einem deutschen Frager mehr Biersorten erklärt und präsentiert, als zur Verfügung stehen, eine doppelt vorhandene Musterflasche fällt nicht auf und wird mit blumigen Inhaltsbeschreibungen bedacht. Hier, das ist herb würzig und dieses ist mild und angenehm. Doro bemerkt, das Etikett sei exakt gleich, aber wir verkneifen uns den Hinweis. Solcher Art dargeboten Improvisationsgabe verspricht viel in Hinblick auf den angebotenen Jazz.

Ula Lazar

Ula Lazar

In den beiden verbundenen Konzerträumen stehen Klappstühle. Eine Dame kündigt den Auftritt von White Jazz on Black aus Kraukau an. Der Saxophonist sei übrigens für die Grafiken an den Wänden verantwortlich. Er sei Dozent an der Krakauer Kunstakademie spiele aber hervorragend Saxophon, wird uns versichert. Türen geschlossen und los geht’s. Die kleine Besetzung aus Saxophon, Rhythmusguitarre und Gesang schlägt sich wacker. Ich erkenne alle Songs wieder, obwohl ich mir manchmal nicht sicher bin, ob die Dame auf englisch oder polnisch singt.

Das Publikum duldet keine knisternden Plastebecher und kein Geflüster. Es herrscht Stille während die fragilen und komplexen Melodiebögen den Raum leise füllen. Warum stört sich niemand an dem mopsigen Fotografen, der durch die Reihen springt und dessen Kamera dauernd unangenehmes Fiepen, Surren und Klacken produziert. Ich hasse ihn und habe ein “fotografieren nur in den ersten 10 Minuten, Du Amateur!” auf der Zunge, aber dann verschwindet er. Wir sind zufrieden, nur die polnische Bekannte findet es ganz schlecht und die könne doch überhaupt kein Englisch und die Hälfte der Band fehle, sie habe das schon wesentlich besser gehört. Eine Schande! Ihren Begleiter im Schlepp, dessen Bekleidung gegen ihre elegante, leichte Garderobe stark abfällt, macht sie sich auf zum NightClub des Bayerischen Hofs. Wir sind nicht so ungnädig, finden auch den Eingang zum tschechischen Zentrum nebenan und schleichen uns hinein.

Dort läuft ein Beamer mit einem Schlosspark-Video, dazu Violinenklänge und allerlei kuriose Exponate auf kleinen Podesten im Raum. Haushaltsgegenstände und Kinderspielzeug. Die Violinen berühmter deutscher und tschechischer Meister können auch auf DVD erworben werden. Vermutlich haben sie zu spät bemerkt, dass die Polen nebenan bei der langen Nacht dabei sind und haben schnell noch ein Konzept aus dem Boden gestampft. Tschechische Straßenmusiker scheinen in München auch nicht mehr so ohne weiteres greifbar zu sein. Schön wenn sich das Lohnniveau endlich angleicht, bei uns nach unten und in Tschechien nach oben.

Wieder im Shuttlebus, den wir ohne Wartezeit erwischen, überlegen wir, ob wir am Gasteig aussteigen sollen und einen Blick in die GEMA werfen. In die Höhle des Löwen, dem Epizentrum allen bürokratischen Übels, mit dem Veranstalter gemeinhin rechnen müssen. Aber da ist noch die t-u-b-e Klanggalerie und die Unterfahrt. Erstmal dorthin.

Zwei E und viele U

Ich muss gleich gestehen, dass ich eine ausgesprochene Schwäche für die t-u-b-e habe. Die backsteinernen Tonnengewölbe der Klanggalerie sind vollgestopft mit allerlei wunderlichen Apparaturen, Mikrophonen, Lautsprechern und Schalldämmplatten. Auf dem Boden großzügige Liegeflächen auf zwei Ebenen mit Schaumstoffpolstern. Hier wird nicht geguckt und gesehen sondern gehört. Entsprechend gibt es keine Sitzordnung und sitzen ist eh nicht notwendig, Frau und Mann liegt auf bequemen Polstern und lauscht der Klanginstallation. Warum sind solche Ort nicht überfüllt von neugierigen Menschen, die für Minuten und Stunden in eine Klang- und Geräuschwelt eintauchen möchten. Eine Sinneserfahrung, die eine gefangen nimmt und doch die Fantasie anregt, viel stärker, als ein Film dies tun kann. Ich bin froh und dankbar, dass es ein Kulturreferat gibt, dass solche Kunst fördert und pflegt. Wie heißt es so schön auf der Internetseite “Kommen Sie einfach etwas früher und suchen Sie sich selber einen spannenden Hörplatz aus. Der Eintritt zu den t-u-b-e Veranstaltungen ist frei.”

Christina Kubisch hat das Kunststück geschafft, elektromagnetische Felder hörbar zu machen. Mit ihrem speziellen Aufnahmekopfhöhrer war sie am Flughafen unterwegs und jeder WLAN-Sender und jeder Metalldetektor erzeugt nun ein hörbares Brummen oder Summen, Knistern und Kratzen. Die Achtkanal-Anlage erfüllt den Raum, am einen Ende taucht ein helles Rauschen auf, verschwindet wieder. Großartig! Ich stelle mir vor dort Elektrosmog-Phobiker einzuladen. Anschließend betreten die nie wieder einen Flughafen! Die Videoinstallation fällt etwas hinter das Klangszenario zurück. Das Eine-Einstellung-Video im Nebenraum genießen wir darum nur kurz. Die Einstellungen sind nervös und wirken unkonzentriert. Die Gleichzeitig, die in der Klanginstallation gut funktioniert, sorgt hier für eine flimmernde Kompression von in- und auseinander laufenden Bewegungen. Hier täte ein James Benning mit seinen minutenlangen statischen Totalen gut, denke ich. Dann ließen sich sogar Klang und Video zusammenführen.

Auf dem Weg durch die Einsteinkatakombe zur Klanggalerie trafen schon druckvolle Bläsersätze auf unser Ohr. Wer den alten Foreigner Hit “Urgent” einmal als funkiges Soularrangement mit einer dreizehnköpfigen Bandbesetzung hören will, der muss die TroubleShooters aufsuchen. Nur knapp haben wir es in die Klanggalerie geschafft, bevor es uns in die Unterfahrt zieht. Ein großartiges Ensemble von Jung und Alt. Sie passen alle kaum auf die kleine Bühne und die Unterfahrt kocht.

Von Tower of Power, Lionel Richy bis zu Steve Wonder, das Repertoire scheint unerschöpflich und wir warten von Pause zu Pause auf die erste Wiederholung, sind am ausgelassen Tanzen und feiern. Beim Bierstand im Foyer kriege ich eine Bulette geschenkt, so leidend sehe ich aus, als mir der Duft des gerösteten Klops in die Nase steigt.

Immer wieder überlegen wir, ob und wann wir weiterziehen sollen. Jetzt noch nicht. Insgeheim packt mich auch eine perverse Neugier, die darauf achtet, wann das erste Mitglied der Bläser Gruppe in Ohnmacht fällt. Doch Esmeralda (Trompete), Chrissy (sax), Christian (sax) und Helmut (Posaune) lächeln und schlagen sich tapfer. Obschon grün im Gesicht, immer geht noch was, nicht zu vergessen die kleinen Tanzeinlagen nebenher.

Zwischendurch schleift ein genervter jugendlicher Anzugträger seine entfesselt tanzende Freundin unsanft von der Tanzfläche, beide verschwinden. Und ein fades junges Ding versucht ihren gutaussehenden Freund durch ungelenken engen Paartanz vor unkontrollierter Ausgelassenheit zu bewahren. Die Dame nebenan tanzt barfuß, hat ihre Pömps in der Hand. Ich mache sie darauf aufmerksam aufzupassen, denn einen halben Meter vor ihr war vor einer Stunde ein Glas zu Bruch gegangen. Ihr Füße würde sie eh nicht mehr spüren, meint sie lächelnd und tanzt weiter zu “I’m still standing”. Überhaupt ist die Stimmung ausgezeichnet und die letzte Runde im letzten Shuttle scherzt und spaßt. Sogar der Bussfahrer wünscht beim Abschied noch eine gute Nacht!

Wir beschließen bald mal wieder in die Unterfahrt einzukehren. Livemusik hautnah, unplugged, ein tolles Erlebnis. Weit sind wir nicht gekommen in dieser Nacht.

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